Seelsorger an der Seite der Armen - Die Geschichte von Joaquin Garay


Sei ein Patriot – töte einen Priester“ hieß es auf Flugblättern, die am 23. März 1980 über San Salvador, der Hauptstadt des kleinen mittelamerikanischen Landes El Salvador, abgeworfen wurden. Tags darauf wurde Erzbischof Óscar Romero, einer der prominentesten Kritiker des Regimes, von Todesschwadronen der Militärjunta beim Verlassen einer Kapelle erschossen. Es war der Beginn einer neuen Phase des Bürgerkriegs, der am Ende mehr als 75.000 Todesopfer in El Salvador fordern sollte.

Zu diesem Zeitpunkt war Joaquin Garay 18 Jahre alt und gerade in das Noviziat der Franziskaner in Mittelamerika eingetreten – mit dem Wunsch, Priester zu werden.

Joaquin wurde 1962 als fünftes Kind einer Familie in Usulután, einer Bezirkshauptstadt im Südosten El Salvadors mit heute 75.000 Einwohner, geboren. Seine Eltern arbeiteten als Lehrer, mussten jedoch gleichzeitig mehrere Stellen übernehmen, um die Familie über die Runden zu bringen. Joaquins Vater war als Schulrektor ein linker Intellektueller, der für eine sozial gerechtere Gesellschaftsordnung eintrat. Joaquin wuchs in einem Land auf, das jahrzehntelang von einer Militärjunta regiert wurde und in dem sich wenige mächtige Familien und Großgrundbesitzer bereicherten, während der überwiegende Teil der Bevölkerung in Armut lebte.

Joaquin hatte dennoch eine behütete Kindheit und wurde von seinen Eltern zu Toleranz, Gerechtigkeit und Bescheidenheit erzogen. Der Pfarrer in seinem Stadtteil war damals ein Franziskaner, und während der Semesterferien kamen junge Franziskanerbrüder in die Pfarrei und unterstützten das lebendige Gemeindeleben. Joaquin, der sich in einer Musikgruppe in der Pfarrei engagierte, war sehr begeistert von ihrer pastoralen Arbeit. Zusammen mit sechs Jungen aus der Pfarrei trat er dann auch direkt nach der Oberschule in die Ordensgemeinschaft ein. Neben seinem Wunsch nach einem Leben in Gemeinschaft war für seine Entscheidung das Beispiel der Franziskaner in seiner Gemeinde der wichtigste Grund. Die Brüder waren motiviert durch die „Theologie der Befreiung“, die die Kirche vor allem als Stimme der Armen verstand. Sie sahen es als ihre christliche Pflicht an, gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Entrechtung einzustehen. Das wollte Joaquin auch! Er sah seinen Platz als Priester und Seelsorger an der Seite der Armen und Benachteiligten.

Der Eintritt in den Orden und die Zeit im internationalen Ausbildungshaus in Guatemala erweiterten seinen Horizont. Sein Ausbildungsleiter stammte aus Venedig, sein Guardian aus New York, und die 29 Novizen kamen aus ganz Mittelamerika. Ein jeder brachte seine eigene Geschichte, Kultur und Weltanschauung mit, doch alle zusammen erlebten sie die Spiritualität der Franziskaner und die Verwurzelung im Glauben als ihren gemeinsamen und je individuellen Weg. Je mehr er über den heiligen Franziskus und den Orden lernte, desto mehr fühlte er sich bestärkt, diesen Weg zu gehen.

Mit 26 Jahren wurde Joaquin zum Priester geweiht und nach eineinhalb Jahren als Seelsorger in San Salvador überraschend zum Provinzsekretär der neu gegründeten mittelamerikanischen Franziskanerprovinz ernannt. Drei Jahre später hatte er die Chance auf einen Studienplatz im Ausland, denn die Provinz wollte ihre internationalen Kontakte verstärken, und so kam Joaquin mit Anfang 30 ins Rheinland nach Deutschland.

Er studierte in Düsseldorf und übernahm eine Stelle als Seelsorger in der spanischsprachigen Gemeinde. Dort begegnete er auch vielen Menschen aus Lateinamerika, die vor politischer Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen waren und nun versuchten, hier eine Existenz aufzubauen. Von 2010 bis 2022 lebte und arbeitete Bruder Joaquin in der Pfarrei in Mannheim. Seelsorge und Gemeindearbeit im Arbeitermilieu in der Neckarstadt waren für ihn eine Herausforderung, die ihm große Freude machte.

Enden 2022 ist Joaquin über Guatemala nach Mexiko gereist, um dort für drei Jahre in einem Netzwerk für Migranten mitzuarbeiten. Viele Menschen fliehen vor der politischen Situation, vor korrupten Regierungen, kriminellen Banden, Drogenkartellen und wirtschaftlicher Not. Die Gesellschaften in Lateinamerika haben sich verändert, die Nöte der Menschen sind gleich geblieben.

Im Geiste von Óscar Romero möchte Joaquin sich vor Ort als Franziskaner und Priester einsetzen für die Menschen, die unter Armut, Arbeitslosigkeit, Verfolgung und Gewalt leiden. Denn der Erzbischof beschwor in seiner letzten Predigt am 23. März 1980 die Gläubigen: „… Die Kirche, Verteidigerin der göttlichen Rechte und von Gottes Gerechtigkeit, der Würde des Menschen und der Person, kann angesichts dieser großen Gräuel nicht schweigen …